Der Mensch, das wertende Tier

27.11.2023 - Mitteilung
Am 24. und 25. November 2023 fanden an der Privaten Universität im Fürstentum Liechtenstein (UFL) in Triesen die 2. KOLLOQUIA zum Thema «Werte und Werturteile in den Sozialwissenschaften» statt. Emanuel Schädler hat teilgenommen.

Neben den Charakterisierungen des Menschen als politisches Tier, als sprechendes Tier, als religiöses Tier usw. liesse sich eine weitere anführen: der Mensch als das wertende Tier. Wir kommen nämlich, auch wo wir uns dessen nicht bewusst sind und wo wir sie gar nicht erwarten würden, um Werte, Werthaltungen und Wertabwägungen nicht herum. Der hochkarätige und international besetzte Referierendenkreis der 2. KOLLOQUIA der UFL in Triesen widmete sich deshalb diesem Thema in betont interdisziplinärer (Philosophie, Politik, Mathematik, Recht, Pädagogik, Geschichte, Ökonomie, Statistik) und wissenschaftstheoretischer Perspektive.

Werte sind persönlich sowie gesellschaftlich, sie bezeichnen etwas Wünschenswertes, sie leiten Handlungen als Orientierungshilfen und sie bleiben in der Zeit relativ konstant. So festigen sie nicht zuletzt auch die Gesellschaft durch einen grundlegenden Wertekonsens. In der Rechtswissenschaft zum Beispiel wird die Menschenwürde als solch ein (verfassungsexpliziter oder verfassungsinhärenter) Grundwert diskutiert, der auch einer sich positivistisch verstehenden Rechtsordnung im Kern zugrunde liege. Aber auch in den vermeintlich wertungsfreien Berechnungen der Ökonomie oder der Statistik stecken oft (absichtlich oder unabsichtlich) Wertprämissen oder Wertentscheidungen infolge von Frageausrichtung, Parameterauswahl und Ergebnisinterpretation. Ebenso verhält es sich bei historiographischen Darstellungen, die sich anschicken, Historisches nur so darzustellen, wie es tatsächlich eigentlich gewesen sei, wobei Wertvorstellungen dennoch unvermeidbar mit einfliessen. Wenn dabei heute gemeinhin oft Max Weber (1864–1920) als Vater eines modernen Postulats der wissenschaftlichen Wertfreiheit herangezogen wird, trifft dies – wie die Diskussionen an der Tagung zeigten – nicht vollständig zu; seine Schriften belegen ein viel differenzierteres theoretisches (ganz zu schweigen von seinem praktischen und praktizierten) Verhältnis zu Werten und Wertungen in den Wissenschaften.

Eine Möglichkeit zur besseren Transparenz bietet das Bekenntnis zu einer Wertneutralität (anstelle einer undurchführbaren absoluten Wertfreiheit) beim wissenschaftlichen Arbeiten. Das bedeutet: Akzeptanz von Werteeinflüssen, jeweils möglichste Bewusstmachung und Explizierung der relevanten Werte in den verschiedenen Phasen des Forschungsvorgehens, schliesslich eine ausdrücklich der Wertleitung unterstellte Weiterverwendung von erzielten Forschungsergebnissen in der Praxis und Politik.

Foto: Rebekka Wehrer, Private Universität im Fürstentum Liechtenstein (UFL)