Seit der Errichtung des Erzbistums Vaduz im Dezember 1997 haben sich in Liechtenstein die Diskussionen um eine Neuordnung des Verhältnisses von Kirche und Staat intensiviert. In mehreren Anläufen wurde versucht, eine Reform des Staatskirchenrechts zu vollziehen – bisher ohne politischen Erfolg. Gemeinsam ist den Versuchen, dass man vom traditionellen „Landeskirchentum“ (Art. 37, Abs. 2 LV) wegkommen und eine „Entflechtung“ oder gar „Trennung“ von Kirche und Staat vollziehen möchte. Die angezielten Reformen bedeuten insofern einen Paradigmenwechsel, als sich der Staat künftig „religionsneutral“ verstehen will und eine paritätische Ordnung der Religionen im staatlichen Recht anstrebt. Die Neuordnung erweist sich als schwierig, zumal mit der katholischen Kirche, mit der historisch enge Verknüpfungen insbesondere auf kommunaler Ebene bestehen, komplexe Detailprobleme zur Klärung anstehen. Wenig Beachtung findet bislang, dass sich auch das Selbstverständnis des Staates und die Legitimation staatlicher Macht grundlegend transformieren, wenn das Verhältnis zu den Religionen neu bestimmt wird.
Das Forschungsprojekt untersucht die Reformbemühungen in Liechtenstein in den Bezugsfeldern „Religion-Kirche-Staat-Gesellschaft“ in systematischer Perspektive. Dabei sollen die jüngeren Debatten in einen grösseren geistesgeschichtlichen Kontext gestellt werden. Das Projekt ist insofern interdisziplinär angelegt, als es Forschungen aus den Bereichen Geschichte, Recht, (Religions-)Soziologie und weitere einschlägige Fachgebiete zu integrieren sucht.
Geplant ist, zunächst einen Forschungsbericht zu erstellen, der bisher geleistete Arbeiten zum Verhältnis Kirche-Staat in Liechtenstein (geschichtliche, rechtliche und statistisch-soziologische Forschungen) bündelt und auswertet. Sodann sollen jüngere religionsphilosophische Ansätze skizziert werden, die sich kritisch mit dem Säkularisierungstheorem auseinandersetzen und auf die bleibende Relevanz der Religionen für Gesellschaft und Staat aufmerksam machen (Jürgen Habermas, Niklas Luhmann u.a.).
Vor diesem Hintergrund wendet sich das Forschungsprojekt den konkreten Reformbestrebungen in Liechtenstein seit 1997 zu. Es soll eine Chronologie der politischen Vorstösse (Vernehmlassungsberichte, Gesetzes- und Vertragsentwürfe) erstellt werden. Sodann sollen die Detailregelungen im Einzelnen untersucht werden: Staatliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften; Religionsfinanzierung (Spendenfinanzierung, Kirchensteuer, Mandatssteuer); Religionsunterricht an öffentlichen Schulen; Vertrags- bzw. Konkordatspläne; Feiertagsordnung usw. Wo angezeigt, soll jeweils ein Vergleich mit anderen Staaten und deren Regelungen angestellt werden.
Zu den Spezifika des Projektes zählt der Versuch, die politischen Reformvorschläge aus der Binnenperspektive der betroffenen Religionsgemeinschaften und deren Selbstverständnis heraus (römisch-katholische Kirche, evangelische Kirchen, orthodoxe Kirchen, islamische Verbände usw.) zu beleuchten.
Die Untersuchungen sollen in einer eigenständigen Publikation festgehalten werden.