Liechtensteinische Geschichtsschreibung im In- und Ausland

23.03.2019 - Gastkommentar (5)
Gastbeitrag von Arthur Brunhart │Die Reihe „Geschichte wozu?“ frägt, welche Bedeutung und Funktion Geschichtskenntnis für uns und unser Land hat. Unsere Identität ist dann einigermassen klar, wenn wir unsere Geschichte kennen. Um sie kennenzulernen, sind viele Wege möglich. Auch der Blick von aussen spielt eine wichtige Rolle.
Der dritte Band der „Bausteine zur Geschichte Liechtensteins“ (1999) ist mit dem Begriff „Modellfall Liechtenstein“ übertitelt. Dies weist darauf hin, dass das überschaubare Land exemplarische Aussagen ermöglicht, die über die Grenzen hinaus für die Geschichtsforschung von besonderem Interesse sind. Das macht Liechtenstein als Thema für Forschungsinstitutionen im Ausland attraktiv.

Dass es eine genuin liechtensteinische Geschichtsforschung in Liechtenstein braucht, versteht sich von selbst. Wo aber sind die dazu nötigen Qualifikationen zu holen? Liechtenstein hat keine Universität, die Studierenden der historischen Wissenschaften ein qualifiziertes Studium ermöglicht. Sie tun dies an ausländischen Universitäten mit dem nötigen Fächerspektrum. Solche Verbindungen lassen sich für die Liechtensteiner Geschichtsschreibung fruchtbar machen, die, wie fast alles in Liechtenstein, auf enge Kontakte ins Ausland angewiesen ist.

Ausbildung und Hochschulforschung
So bieten sich – neben der inländischen Geschichtsforschung etwa durch das Liechtenstein-Institut oder den Historischen Verein – auch an ausländischen Universitäten Möglichkeiten zur Liechtenstein-relevanten Hochschulforschung. Diese richtet das Augenmerk auf nicht oder kaum untersuchte Forschungsfelder und fördert Liechtensteiner Studierende. Sie öffnet Jungforschern den Zugang zu für unser Land relevanten Themen und Fragestellungen, begleitet von einer in Theorie, Methode und Praxis ausgewiesenen wissenschaftlichen Betreuung. Vor allem wird die Methodenrezeption in gewünschter Breite und Kontinuität unterstützt. Solche Hochschulforschung nutzt das Know-how ausländischer Universitäten zur Förderung liechtensteinischer und an Liechtenstein interessierter ausländischer Studierender, setzt diese schon während des Studiums auf Liechtenstein-relevante Themen an und bietet ihnen nach dem Studienabschluss Perspektiven.

Zusammenarbeit und Wissenstransfer
Es gibt Beispiele erfolgreicher Zusammenarbeit. Erinnert sei an die vom Historischen Verein und der fürstlichen Kabinettskanzlei unterstützte Tagung am Freiburger Alemannischen Institut (1980), an das vom Historischen Verein geförderte Seminar der Universität Tübingen (1984) wie auch an die 1995 bis 1997 vom Historischen Lexikon initiierten Liechtenstein-Seminare an den Universitäten Zürich, Innsbruck, Salzburg und Fribourg. Aus einer ganzen Reihe der damals behandelten Themen sind Publikationen, Abschlussarbeiten und Dissertationen hervorgegangen. Damals mitarbeitende Studenten sind heute als Dozenten und Professoren an Universitäten tätig. Das erleichtert das Knüpfen wissenschaftlicher Kontakte.

Andere Beispiele geben die Ende der 1990er-Jahre vom Historischen Lexikon durchgeführten „Liechtensteinischen Historischen Tagungen“ und die Fachtagung „Frauen und Geschichtsschreibung“ (1998), die mit Know-how von aussen in das Instrumentarium der Frauen-  und Geschlechtergeschichte (Gender Studies) einführte.

Grenzüberschreitende Projekte ermöglichen es also, einerseits das Wissen und die Kenntnisse über Liechtenstein im Ausland zu erweitern und zu vertiefen und anderseits, im Ausland erarbeitete wissenschaftliche Erkenntnisse über das Land nach Liechtenstein zu transferieren. Zudem öffnen sie nützliche «Liechtenstein-Fenster» an Universitäten im Ausland.

Voraussetzungen
Voraussetzungen für das Gelingen solcher Projekte sind: das Interesse liechtensteinischer Akteure (Historischer Verein, Liechtenstein-Institut, Historisches Lexikon, Regierung, Ämter, Kulturstiftung, Unternehmen, Private) sowie Geschichtsfakultäten an ausländischen Universitäten, die den Studenten mehr bieten wollen als das Übliche; motivierte Studierende, die Forschungsarbeit leisten wollen; Zugang zu ausgewählten Quellen, was im digitalen Zeitalter gewährleistet ist; Finanzierung durch die öffentliche Hand, bestehende Fonds (und Einrichtung eines Liechtensteiner Forschungsfonds, wie es ihn in anderen Ländern gibt) sowie private oder institutionelle Ressourcen.

Zum Nutzen bringen
Nachhaltig ist es, qualifizierte Liechtensteiner Jungforscher zu fördern, ihnen berufliche Möglichkeiten zu schaffen, entsprechende Projekte zu initiieren und sie auf wenig oder nicht erforschte Themenfelder anzusetzen.

Über den Verfasser
Arthur Brunhart, Historiker und Ethnologe, Balzers

 

Geschichte wozu? Eine Artikelserie des Liechtenstein-Instituts 
Mit der Beitragsserie „Geschichte wozu?“ möchte das Liechtenstein-Institut die gesellschaftliche Bedeutung der Geschichte der Geschichtsforschung in ihren verschiedenen Facetten. Dieser Gastbeitrag erschien im Liechtensteiner Volksblatt vom 23. März 2019.