Schiess, Patricia (2025): Keine kurzen Wege für die Gleichstellung. Liechtensteinische Juristen-Zeitung (LJZ) 2025, H. 2, S. 72–93.

Erscheinungsjahr:
2025

Abstract
1984 gewährten Liechtensteins Männer auch den Frauen das Wahl- und Stimmrecht. Allein damit stellte sich die Gleichstellung der Geschlechter jedoch noch nicht ein. Aber immerhin markierte die Gleichbehandlung im politischen Bereich den Start für eine grosse Ehe- und Familienrechtsreform, die zweite innert kurzer Zeit, denn erst 1973 hatte Liechtenstein die Scheidung eingeführt. Erst nach der 1992 erfolgten Aufnahme des Gleichstellungsartikels in der Verfassung (Art. 31 Abs. 2 LV) konnte der Staatsgerichtshof (StGH) diejenigen Gesetzesbestimmungen, die gegen das Geschlechtergleichheitsgebot verstossen, aufheben. Beschwerden gingen dabei keineswegs nur von Frauen ein. Nach dem Jahr 2000 fällte der StGH jedoch kein Urteil mehr, das er mit einer Verletzung der Bestimmung über die Geschlechtergleichheit begründete.

Der Beitrag von Patricia Schiess zeigt das Wechselspiel zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung von 1982 bis heute. In den letzten Jahren wurden Aktivitäten des Gesetzgebers vor allem durch das EWR-Recht angestossen (Stichwort Elternzeit) oder durch den Beitritt zur Istanbul-Konvention, die vor geschlechtsspezifischer Gewalt und vor häuslicher Gewalt schützt, und durch die Ratifikation der UNO-Frauenrechtskonvention CEDAW.

Diese Untersuchung zeigt auch auf, wie Liechtenstein im Laufe der Jahre von verschiedenen Revisionen profitieren konnten, die seine Nachbarländer insbesondere im Sozialversicherungsrecht (zur besseren Absicherung von Müttern) und im Ehe-, Erb- und Familienrecht (zur Verwirklichung des Partnerschaftsprinzips) vorgenommen hatten. Nicht übernommen hat Liechtenstein jedoch die heute im Schweizer Gleichstellungsgesetz enthaltenen Vorgaben zur Lohngleichheitsanalyse, obwohl Liechtenstein 1999 das Schweizer GlG freiwillig rezipiert hatte. In einer besonderen Situation befindet sich Liechtenstein insofern, als seine Verfassung die römisch-katholische Kirche zur Landeskirche erklärt. Seit mehreren Jahren wird über die Beseitigung der rechtlichen Ungleichbehandlung der anderen Religionsgemeinschaften diskutiert. Mit dem Plädoyer, dass dabei der Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für die Gleichbehandlung aller Menschen innerhalb der Kirchen und Religionsgemeinschaften thematisiert werden muss, endet der Beitrag.

Diese Publikation macht auf – nicht nur in Liechtenstein – ungelöste Fragen aufmerksam wie auf die, wer Betreuungsleistungen erbringt, wenn Frauen wie Männer berufstätig sind, oder an welchem Familien- und Partnerschaftsmodell sich der Gesetzgeber ausrichten soll. Zudem wird darauf hingewiesen (siehe insbesondere S. 80, 87 und 90), dass es – vor allem, aber wohl nicht nur in Liechtenstein – mehr empirische Daten bräuchte, um Rechtsnormen so auszugestalten, dass sie bestehende Ungleichheiten abbauen können. Der Beitrag bringt auch Themen wie (vermeintliche) Privilegien der Frauen (Stichwörter Rentenalter und Feuerwehr) zur Sprache und weist darauf hin, dass das Gesetz nicht selten so tut, wie wenn der gleiche Einsatz von Männern und Frauen in der Kinderbetreuung und im Haushalt schon gegeben wäre und die finanziellen Verhältnisse und der Gesundheitszustand von Frau und Mann identisch wären. Er zeigt, dass sich in Liechtenstein kein Widerstand zeigte gegen Normen, mit denen statistisch gesehen viel mehr Frauen als Männer finanzielle Erleichterungen gewährt wurden (Stichwörter sind Unterhaltsvorschussgesetz, Alleinerziehendenzulage, Betreuungs- und Pflegegeld sowie die Senkung der Schwelle für den Eintritt in die Pensionskasse), dass aber der Ausgleich innerhalb der Partnerschaft und bei deren Auflösung (Aufteilung des Vermögenszuwachses und Aufteilung der Ersparnisse in der Pensionskasse), auf weniger Gegenliebe stiessen, genauso wie der in Liechtenstein «Elternzeit» genannte, vom EWR-Recht vorgeschriebene «Elternurlaub».

Die Abhandlung erschliesst eine Vielzahl an deutschsprachigen Publikationen zur Geschlechtergleichheit. Im Text und den Fussnoten finden sich viele Originalzitate aus Urteilen und Materialien (so in den Fn 108, 145, 156, 174, 197 und 205). In den Fn 10, 13, 20, 135, 181, 183 und 209 kann man prägnante Aussagen von Rechtswissenschafterinnen und Rechtswissenschaftern nachlesen.