Auftakt der «Zürcher Vorlesungen zum Liechtensteinischen Recht»

20.03.2020 - Mitteilung
Mit ihren Ausführungen zur Volksinitiative auf Verfassungs- oder Gesetzesänderung eröffneten Goran Seferovic (ZHAW) und Patricia Schiess (Liechtenstein-Institut) am 3. März 2020 die neu ins Leben gerufene Reihe «Zürcher Vorlesungen zum Liechtensteinischen Recht» an der Universität Zürich. Diese mit Unterstützung des Liechtenstein-Instituts angebotenen Vorträge ermöglichen es Interessierten, auch in Zürich Neues aus der rechtswissenschaftlichen Forschung Liechtensteins zu erfahren.

Der Vortrag In ihrem Vortrag zur Volksinitiative in Liechtenstein hoben Goran Seferovic und Patricia Schiess vor allem die Unterschiede zur Regelung in der Schweiz hervor.

Das Recht der Stimmberechtigten, eine Volksinitiative zu lancieren, wurde – zusammen mit anderen Neuerungen wie der Errichtung des Staatsgerichtshofs (StGH) – in die Verfassung von 1921 aufgenommen. Wilhelm Beck hatte schon im Januar 1919 vorgeschlagen, dass 400 Bürger einen Gesetzesvorschlag einbringen können sollen. Im Verfassungsentwurf von Prinz Karl (März 1920) und in der Regierungsvorlage von Landesverweser Josef Peer (Januar 1921) kamen weitere Elemente dazu (Gemeindebegehren, Gegenvorschlag der Regierung, Sperrfrist). Zum Teil wurden diese im Laufe der Beratungen wieder verworfen. Der Landtag zeigte sich – verglichen mit diesen Entwürfen – eher restriktiv. So setzte er die Unterschriftenzahl für Verfassungsinitiativen bei 600 an, für Gesetzesinitiativen bei 400. Dazu kommt, dass viele Fragen (Frist für das Sammeln der Unterschriften; Recht des Landtages, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten; Vorgehen bei mehreren Initiativbegehren) nur auf Gesetzesstufe geregelt sind.

Auch wenn die Instrumente Initiative und Referendum von der Schweiz übernommen wurden, so stand doch nicht die Bundesverfassung Pate. Vielmehr fanden Formulierungen aus der Verfassung des Kantons St. Gallen von 1890 und der (ebenfalls von der St. Galler Verfassung inspirierten) Verfassung Vorarlbergs von 1919 Aufnahme in die liechtensteinische Verfassung.

Wie im Vortrag und der anschliessenden Diskussion aufgezeigt wurde, unterscheidet sich die Ausgestaltung der politischen Rechte in Liechtenstein von der Rechtslage in der Schweiz. Die Stimmberechtigten haben in Liechtenstein die Wahl zwischen der Verfassungs- und der Gesetzesinitiative, während auf eidgenössischer Ebene lediglich Verfassungsinitiativen zulässig sind. Unterschiede bestehen auch darin, dass Verfassungsänderungen in Liechtenstein nicht zwingend die Zustimmung der Bevölkerung an der Urne brauchen. Erreicht ein Initiativbegehren im Landtag das erforderliche qualifizierte Mehr, so reicht dies. Notwendig ist jedoch in jedem Fall die Sanktion durch den Landesfürsten.

Auf einen weiteren Unterschied ging Goran Seferovic näher ein: Wird eine Volksinitiative auf Gesetzesänderung bei der liechtensteinischen Regierung angemeldet, wird sie seit 1992 auf ihre Übereinstimmung mit der Verfassung sowie dem Völker- und EWR-Recht geprüft. Die Prüfung auf Völkerrechtskonformität und Übereinstimmung mit dem EWR-Recht erfolgt auch bei Verfassungsinitiativen. Erklärt der Landtag ein Initiativbegehren mangels Konformität gestützt auf den Antrag der Regierung für nichtig, so kann das Initiativkomitee (wie bei der Ungültigerklärung von «Pensionskasse win-win» im Jahr 2013) den Staatsgerichtshof anrufen. In der Schweiz wird vor der Unterschriftensammlung keine materielle Vorprüfung vorgenommen. Das Bundesgericht hat Bundesgesetze auch dann anzuwenden, wenn sie gegen die Verfassung oder Völkerrecht verstossen. Demgegenüber hebt der StGH – wie Patricia Schiess näher erläuterte – alle Normen auf, die verfassungsmässige Rechte oder EWR-Recht verletzen. Das gilt selbst dann, wenn die Gesetzesbestimmungen auf eine Volksinitiative zurückgehen.

 

3.3.2020: So nah und doch so fern. Ein Rechtsvergleich der Volksinitiative im Fürstentum Liechtenstein und in der Schweiz