Zürcher Europarechtstag mit EWR-Panel
Decision Shaping im EWR
Vereinfacht ausgedrückt, bezeichnet Decision Shaping den Prozess der Mitwirkung der EWR/EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen an der Entstehung des EWR-relevanten EU-Rechts. Der Begriff selbst ist nicht im EWR-Abkommen enthalten und lässt sich deshalb auch nicht eindeutig definieren. Die wichtigste Form des Decision Shaping ist zweifelsohne die Möglichkeit der Teilnahme der EWR/EFTA-Staaten in verschiedenen EU-Ausschüssen, welche mit der Rechtsetzung des EWR-relevanten EU-Rechts betraut sind. Andere Formen des Decision Shaping sind die Möglichkeit, nationale Experten an die Europäische Kommission zu entsenden, oder die Einreichung schriftlicher Kommentare sowie informelle Möglichkeiten der Einflussnahme, insbesondere Lobbying.
Das Decision Shaping bietet den EWR/EFTA-Staaten zwar diverse Möglichkeiten, an der Rechtsetzung der EU mitzuwirken, es bestehen aber auch ganz grundlegende Einschränkungen. So haben die EWR/EFTA-Staaten kein Stimmrecht in EU-Gremien. Auch fehlt ein formeller Zugang zum EU-Rat und dessen untergeordneten Gremien. Im Ergebnis können die EWR/EFTA-Staaten zwar an der Entstehung des EWR-relevanten EU-Rechts mitwirken, aber nicht mitbestimmen. Aufgrund dieser Unterscheidung wird dem EWR oftmals ein Defizit an demokratischer Legitimität attestiert.
In seinem Vortrag zeigte Christian Frommelt die verschiedenen Formen des Decision Shaping und deren praktische Bedeutung auf. Demnach besteht eine enge Verflechtung des Decision Shaping der EWR/EFTA-Staaten einerseits und der verschiedenen Verfahren zur Übernahme eines EWR-relevanten EU-Rechtsaktes in das EWR-Abkommen andererseits. Gerade bei Verfahren, die auf eine effiziente und damit faktisch automatische Übernahme zielen, ist das Decision Shaping demokratiepolitisch wichtig. Ein aktives Decision Shaping erleichtert aber nicht nur die Übernahme, sondern kann auch die korrekte und fristgerechte Umsetzung von EWR-Recht in nationales Recht stärken. Schliesslich bietet das Decision Shaping den EWR/EFTA-Staaten die Möglichkeit, sich gegenüber der EU als kompetente und verlässliche Partner zu profilieren.
Erfahrungsbericht zu Liechtenstein
Der Vortrag von Christina Neier zu Liechtensteins Erfahrungen im EWR basierte auf ihrer knapp zweieinhalbjährigen Tätigkeit bei der Stabsstelle EWR der liechtensteinischen Landesverwaltung. Sie führte eingangs aus, dass sich die Stabsstelle EWR sowie die EWR-Fachexpertinnen und -experten der Landesverwaltung bereits zu einem frühen Zeitpunkt mit neuem EU-Recht befassen, etwa durch die Teilnahme an EU-Komitees, das Verfassen eines EWR/EFTA-Kommentars sowie die genaue Überprüfung eines Vorschlages der EU-Kommission für einen neuen EU-Rechtsakt.
Nach Erlass eines neuen EU-Rechtsaktes wird das EWR-Übernahmeverfahren in Liechtenstein durch die Stabsstelle EWR koordiniert, welche gemeinsam mit den EWR-Fachexpertinnen und -experten jeden einzelnen EU-Rechtsakt überprüft. Ziel ist schliesslich die Übernahme des EU-Rechtsaktes qua Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses. In den Sitzungen des Gemeinsamen EWR-Ausschusses müssen die EWR/EFTA-Staaten jeweils angeben, welche Beschlüsse einem Verfahren gemäss Art. 103 EWR-Abkommen unterliegen. Der liechtensteinische Staatsgerichtshof legte in seinem Gutachten 1995/14 unter Auslegung von Art. 8 Abs. 2 Landesverfassung fest, welche Beschlüsse des Gemeinsamen EWR-Ausschusses dem Landtag zur Zustimmung vorgelegt werden müssen und entsprechend ein Verfahren nach Art. 103 EWR-Abkommen für Liechtenstein angemeldet werden muss. Christina Neier zeigte in ihrem Vortrag die einzelnen Verfahrensschritte in Liechtenstein auf und verdeutlichte schliesslich auch, dass das 103er-Verfahren von den EWR/EFTA-Staaten mitunter auch dazu genutzt wird, das Inkrafttreten eines Beschlusses des Gemeinsamen EWR-Ausschusses zu verzögern.
Das Verfahren gemäss Art. 103 EWR-Abkommen ermöglicht die Einbindung des Landtages und – via fakultatives Referendumsrecht – des Volkes in den EWR-Übernahmeprozess. Diesem demokratischen Aspekt steht jedoch das fehlende Stimmrecht der EWR/EFTA-Staaten im Rahmen des EU-Rechtsetzungsprozesses sowie die Pflicht zur dynamischen Rechtsübernahme gegenüber. Christina Neier resümierte daher, dass die Einschätzung des Schweizer Bundesrates im Jahr 1992, wonach die «demokratischen und föderalistischen Mitwirkungsrechte im EWR optimal gewahrt bleiben», wohl etwas zu positiv ausfällt.
EWR und Demokratie: Erfahrungsbericht Liechtenstein. Präsentation von Christina Neier.
Decision Shaping im EWR. Präsentation von Christian Frommelt.