«Der Kleinstaat im Völkerrecht»: Sonderausgabe der Swiss Review of International and European Law
Vielfältiger Zugang zum Thema
Die Beiträge analysieren das Phänomen Kleinstaat im Völkerrecht am Beispiel Liechtensteins – sowie mancherorts zusätzlich am Beispiel Schweiz – aus unterschiedlichen Perspektiven. Peter Bussjäger, Professor an der Universität Innsbruck und ehemaliger Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut, thematisiert die Labilität von Souveränität und das Ringen um Anerkennung von Liechtenstein in der Staatengemeinschaft. Dabei zeigt ein historischer Abriss zur Rolle Liechtensteins im Völkerrecht, dass der Kampf um internationale Anerkennung und Unabhängigkeit lange, aber letztlich lohnenswert sein kann. Andreas Th. Müller, ebenso Professor an der Universität Innsbruck, analysiert das Konzept der Völkerrechtsfreundlichkeit in der liechtensteinischen Rechtsordnung, welchem sich sowohl Rechtsprechung als auch Lehre bedienen, auch wenn sich diese Begrifflichkeit im liechtensteinischen Recht nicht ausdrücklich wiederfindet. In ihrem Beitrag diskutiert Charlotte Sieber-Gasser, Oberassistentin an der Universität Luzern, die Herausforderungen von internationalen Handelskriegen für kleine, unabhängige und exportorientierte Volkswirtschaften wie die Schweiz oder Liechtenstein. Überdies werden Massnahmen vor und nach dem Ausbruch von COVID-19 im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Handelskrieg sowie mögliche Optionen für den künftigen Schutz der Handelsinteressen von kleinen Volkswirtschaften erörtert. Patricia Schiess vom Liechtenstein-Institut und Lorenz Langer, ehemaliger Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut, untersuchen in ihren Beiträgen die UNO-Frauenrechtskonvention CEDAW sowie die Implikationen von Soft Law für Kleinstaaten:
Liechtenstein und die UNO-Frauenrechtskonvention CEDAW (Patricia Schiess)
Dieser Beitrag stellt dar, wie Liechtenstein das UNO-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) implementiert hat. Die CEDAW gehört zu denjenigen internationalen Abkommen, die vor dem StGH gleich wie die in der Verfassung gewährleisteten Rechte angerufen werden dürfen. Bis jetzt hatte der StGH allerdings noch nie Gelegenheit, sich mit der CEDAW auseinander zu setzen. Aufgerufen zur Umsetzung der CEDAW ist zuallererst der Gesetzgeber. Das Berichterstattungsverfahren, an dem die Zivilgesellschaft teilnehmen kann, und die Rechtsprechung des UNO-Ausschusses helfen ihm, Diskriminierungen zu erkennen und die nötigen Massnahmen zu ergreifen, damit Frauen und Mädchen in gleicher Art und Weise am politischem, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen wie die männliche Bevölkerung und dabei ihre spezifischen Interessen einbringen können.
Patricia Schiess erörtert die von der CEDAW angewendeten Konzepte der Gleichheit sowie die vom UNO-Ausschuss verabschiedeten General Recommendations und seine Rechtsprechung. Danach stellt sie die unmittelbare Anwendbarkeit der CEDAW in Liechtenstein dar. Sie setzt sich dabei insbesondere mit dem Verhältnis der CEDAW zur Verfassung und dem auf strikte Gleichbehandlung der Geschlechter ausgerichteten EWR-Recht auseinander. Dogmatisch stellt es eine Herausforderung dar, dass die geltende liechtensteinische Verfassung eine Ungleichbehandlung nur zulässt, wenn sie mit dem biologischen Unterschied der Geschlechter begründet werden kann, während die CEDAW von einem asymmetrischen Konzept ausgeht, das ausschliesslich Frauen schützt.
Implications of Soft Law Regimes for Small States: The Experience of Switzerland and Liechtenstein (Lorenz Langer)
In den letzten Jahren wurden zahlreiche sogenannte Soft Law-Regelungen geschaffen, oft in Kombination mit einer wirksamen internationalen Aufsicht und strengen Überprüfungsverfahren. Der Beitrag von Lorenz Langer thematisiert die spezifischen Auswirkungen, die solche Regime auf kleine und sehr kleine Staaten haben können. Unter Berufung in erster Linie auf die Erfahrungen der Schweiz und Liechtensteins mit der GRECO (Staatengruppe gegen Korruption) bzw. der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) argumentiert er, dass die internationale Standardisierung die manchmal eigentümlichen historischen, politischen und institutionellen Merkmale von Kleinstaaten nicht immer ausreichend berücksichtigt. Zudem besteht ein gewisses Risiko, dass Kleinstaaten einer besonderen Prüfung ausgesetzt sind. Verurteilungen wegen ungerechter Behandlungen können gemäss den Ausführungen des Autors wiederum zu einer zunehmend negativen Haltung gegenüber Soft Law im Allgemeinen führen, wie die unerwartete parlamentarische Opposition gegen den UN-Migrationspakt sowohl in Liechtenstein als auch in der Schweiz zeigt.