Die Bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU als „Modell“ für das Vereinigte Königreich?
Am 31. Januar 2020 ist das Vereinigte Königreich aus der EU ausgetreten. Bis zum 31. Dezember 2020 befindet es sich in einer Übergangsphase, während deren EU-Recht im Vereinigten Königreich noch anwendbar ist. Gleichzeitig verhandelt es mit der EU ein Abkommen für die zukünftigen Beziehungen. Derzeit (Oktober 2020) ist unsicher, ob es überhaupt zu einem Abkommen kommen wird, oder ob die Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ab dem 1. Januar 2021 lediglich auf der Basis von WTO-Recht beruhen werden. Selbst wenn ein Abkommen zustande kommen sollte, so wird sich dieses wohl nur auf grundlegenden Freihandel beschränken. Aus diesem Grund steht zu erwarten, dass das Verhältnis zwischen den Parteien mittelfristig auf eine solidere Grundlage gestellt werden muss. Im Hinblick darauf werden im Sammelband „Outside the EU. Options for Britain“, herausgegeben von Martin Westlake, Gastprofessor bei der London School of Economics und beim Collège d’Europe (Brügge) verschiedene Abkommensvarianten vorgestellt, welche die EU mit benachbarten Drittstaaten geschlossen hat.
In seinem Beitrag beschreibt Georges Baur die nicht immer störungsfreie Beziehung zwischen der Schweiz und der EU. Dabei zeigt er einerseits die Entwicklung des sogenannten „Bilateralen Wegs“ auf. Andererseits geht er kurz auf die eigentlichen Bilateralen Abkommen ein, welche die Grundlage der Beziehung zwischen der Schweiz und der EU darstellen und die zum Teil hart verhandelt worden sind („hard bargains“). Des Weiteren geht er auf die interne Anpassung schweizerischen Rechts aufgrund des sogenannten „autonomen Nachvollzugs“, europarechtskonformer Auslegung, des unilateralen „Cassis de Dijon“-Prinzips und ähnlicher Instrumente ein. Diese wurden eingeführt, um einseitig Härten in den Beziehungen zur EU auf Grund fehlender Abkommensgrundlagen zu vermeiden („soft edges“).
Schliesslich spricht Georges Baur auch die Problematik des fehlenden institutionellen Überbaus an. Dies führt einerseits dazu, dass die Weiterentwicklung der Bilateralen Abkommen dort verzögert wird, wo eine Partei kein Interesse an einer Rechtsübernahme hat. Damit bleiben wichtige Dossiers manchmal jahrelang blockiert. Andererseits können Praktiken der einen Partei, welche die andere als nicht abkommenskonform ansieht, nicht gestoppt werden. Eine Streitbeilegung kann nur im Gemischten Ausschuss, also politisch durch Diskussionen erfolgen. Deshalb verlangte die EU schon seit einiger Zeit ein Abkommen, mit welchem die institutionellen Probleme gelöst werden und ein rechtliches Verfahren an Stelle des politischen Austausches treten sollten. Zwar liegt seit November 2018 ein verhandelter Text für ein Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU vor, doch wurde dieser durch den Schweizer Bundesrat nicht unterschrieben. Nach „Konsultationen“ mit Parteien und Interessenverbänden ergab sich noch Klärungsbedarf hinsichtlich gewisser Punkte des Abkommensentwurfs. Die EU offerierte Klarstellungen, lehnte jedoch Nachverhandlungen ab. Mittlerweile gab es von verschiedener Seite in der Schweiz Fundamentalkritik an dem Abkommen. Nach wie vor ist die Frage, ob das Rahmenabkommen unterschrieben wird oder nicht, hängig.
Der Beitrag stellt den Stand der Dinge aus einer neutralen Warte dar und verzichtet deshalb auf politische Bewertungen, welche derzeit die politische Diskussion in der Schweiz vergiften.