Politik im Kleinstaat – besonders oder doch ganz gewöhnlich?
Kleinstaatlichkeit als erklärende Variable?
Staat, Kleinstaat oder Kleinststaat? Während über die Definition eines Staates weitgehend Einigkeit herrscht, gibt es für den Kleinstaat keine allgemein gültige Definition. Meist erfolgt die Einordnung aus vergleichender Perspektive basierend auf quantitativen Merkmalen wie der Bevölkerungsgrösse oder der Grösse des Staatsterritoriums. Es sind aber auch qualitative Ansätze denkbar wie z. B. die internationale Macht und Bedeutung eines Staates. Eine Kategorisierung der Staaten anhand ihrer Grösse ergibt analytisch jedoch nur Sinn, wenn die Grösse eines Staates tatsächlich einen signifikanten Einfluss auf konkrete Prozesse und Strukturen in einem Staat hat.
Andere Einflussfaktoren
Im Rahmen seines Vortrages nannte Christian Frommelt beispielhaft vier Aspekte mit jeweils diversen Unteraspekten, welche sich aus der geringen Grösse Liechtensteins ergeben und die einen Einfluss auf die Politik in Liechtenstein haben. Dies sind die geringe geostrategische Relevanz Liechtensteins, die hohe Aussenabhängigkeit, die geringen personellen Ressourcen und die geringe Grösse des öffentlichen Raums. Neben diesen Faktoren gibt es aber noch eine Reihe an Faktoren, welche das politische System Liechtensteins wesentlich prägen, die aber nicht direkt mit der geringen Grösse Liechtensteins zusammenhängen. Dazu zählen beispielsweise der hohe wirtschaftliche Wohlstand, der ländliche Siedlungsraum, die Nähe zu Österreich und zur Schweiz oder die aktive Teilnahme am Europäischen Integrationsprozess. Die Kleinstaatlichkeit bildet also nur eine von vielen Variablen zur Analyse des politischen Systems. Insbesondere handelt es sich um eine konstante Variable und kann deshalb nicht zur Erklärung von Veränderungen im politischen System über die Zeit herangezogen werden.
Fokus Landtagswahlen
Im zweiten Teil des Vortrages thematisierte Christian Frommelt mit Blick auf die anstehenden Parlamentswahlen einige Besonderheiten des politischen Systems Liechtensteins. Dazu zählen beispielsweise der im Vergleich zur Schweiz geringe Anteil an Kandidierenden in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen. Auch eine Besonderheit Liechtensteins sind die verhältnismässig hohen Chancen von Kandidierenden auf einen Wahlerfolg, da in Liechtenstein auf einen Sitz im Parlament lediglich drei Kandidierende kommen, während es in der Schweiz im Jahr 2019 insgesamt 23 Kandidierende waren. Im Vergleich zur Anzahl der Stimmberechtigten ist die Anzahl der Kandidierenden in Liechtenstein jedoch sehr hoch. So kommen in Liechtenstein auf eine/einen Kandidierenden 267 Stimmberechtigte im Vergleich zu 1170 Stimmberechtige in der Schweiz. Dies mag erklären, warum die Anzahl der Kandidierenden in Liechtenstein in den vergangenen Jahren trotz mehr Parteien kaum gestiegen ist.
Grösse oft relativ
Dass Liechtenstein ein besonders kleiner Staat ist, ist unbestritten. Auch unbestritten ist, dass sich die geringe Grösse auf die Politik in Liechtenstein auswirkt. Allerdings ist Liechtenstein auch ein gutes Beispiel dafür, dass die Grösse eines Staates immer relativ ist. Mit Blick auf quantitative Indikatoren wie die Fläche oder die Einwohnerzahl hat sich in Liechtenstein in den vergangenen Jahrzehnten nicht viel verändert. Das Selbstverständnis als ein souveräner Staat hat sich im Zeitverlauf jedoch stark gewandelt, was sich unter anderem in einer aktiven Aussenpolitik und einer zunehmend ausdifferenzierten Rechtsordnung widerspiegelt. Der Ausbau der Landesverwaltung und die Professionalisierung der Regierung zeigen dabei, dass auch ein Klein(st)staat die für eine eigenständige Aufgabenerfüllung nötige Ressourcen bei Bedarf und beim entsprechenden politischen Willen mobilisieren kann.
Weitere Informationen zum Vortrag insbesondere mit Blick auf das zweite Fokusthema – das Verhältnis von Regierung und Landtag – können dem nachstehenden, kommentierten Foliensatz entnommen werden.