Zürcher Vorlesungen zum liechtensteinischen Recht
Erscheinungsformen der Homogenität
Georges Baur führte in seiner Präsentation in das Konzept der Homogenität ein. Dieses ist zunächst einmal als Ziel im EWR-Abkommen formuliert. Sie tritt aber auch in verschiedenen Formen auf. Es geht darum, zwei heterogene Konzepte der (wirtschaftlichen) Kooperation unter einen Hut zu bringen: Die EU mit ihrem supranationalen Aufbau und die EFTA mit ihrer intergouvernementalen Struktur. Daraus folgt zunächst der Aufbau einer Zwei-Pfeiler-Struktur in welcher die EU-Institutionen für die Zwecke des EWR im Wesentlichen auf der EFTA-Seite gespiegelt werden. Damit wird institutionelle Homogenität hergestellt.
Das EWR-Abkommen strebt an, „einen dynamischen und homogenen Europäischen Wirtschaftsraum zu errichten, der auf gemeinsamen Regeln und gleichen Wettbewerbsbedingungen beruht“ (Erwg. 4 der Präambel zum EWRA). Dieses Ziel der legislativen Homogenität hat wiederum zwei Dimensionen, nämlich zum einen inhaltlich möglichst gleiche Regeln zu schaffen und diese auch so zeitgleich wie möglich in Kraft treten zu lassen.
Das dritte Ziel ist jenes der judiziellen Homogenität. Damit ist die einheitliche Auslegung und Anwendung des EWR-Abkommens gemeint. Gerade hinsichtlich dieses Ziels tut sich die Rechtsprechung nicht immer leicht. Gibt es für die Interpretation eines EWR-Rechtsakts unter Umständen wesentliche Abweichungen vom EU-Recht und allfälliger Judikatur dazu? Und wenn dies der Fall ist, sind solche Abweichungen oder Unterschiede zu berücksichtigen oder verlangt „Homogenität“ danach, einschlägigen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs unter allen Umständen zu folgen? Manchmal hat der EFTA-Gerichtshof auch „Krücken“ entwickelt, wie die „Quasi-Direktwirkung“ von EWR-Recht oder dessen „Quasi-Vorrang“. Damit wird versucht, die Spannung zwischen Rechtsprinzipien des EU-Rechts, die im Binnenmarkt Anwendung verlangen, und widersprechenden verfassungsrechtlichen Grundsätzen der EWR/EFTA-Staaten zu überbrücken.
Georges Baur schloss mit der Feststellung, dass die rechtstheoretische Grundlegung zum Thema der Homogenität noch zu leisten sei.
Institutionelle Einbindung der EWR/EFTA-Staaten in EU-Komitees und EU-Agenturen
Christina Neier zeigte in ihrem Vortrag auf, dass die institutionelle Einbindung der EWR/EFTA-Staaten in EU-Komitees und EU-Agenturen ein Weg zur Homogenität darstellt, damit jedoch auch Herausforderungen im Hinblick auf die Zwei-Pfeiler-Struktur des EWR-Abkommens einhergehen. Gemäss Artikel 81, Artikel 99 Absatz 1, Artikel 100 und Artikel 101 EWR-Abkommen dürfen sich die EWR/EFTA-Staaten an Ausschüssen zu EU-Programmen, an Expertengruppen der EU-Kommission, an Komitologieausschüssen der EU sowie an weiteren EWR-relevanten Ausschüssen beteiligen. Die Teilnahme an diesen EU-Komitees ist für die EWR/EFTA-Staaten besonders wichtig, da sie hiermit Zugang zu Informationen und Dokumenten erlangen und sich auf Expertenebene austauschen können. Dies dient der Homogenität im EWR.
Darüber hinaus nehmen die EWR/EFTA-Staaten an 17 EU-Agenturen teil. Nachdem der Hauptteil des EWR-Abkommens keine Bestimmungen zum Verhältnis der EWR/EFTA-Staaten zu den EU-Agenturen enthält, muss dieses mit Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses geregelt werden. Erstens muss festgelegt werden, dass die EWR/EFTA-Staaten ein Teilnahmerecht haben. Diesbezüglich wird regemässig vereinbart, dass sich die EWR/EFTA-Staaten uneingeschränkt mit den gleichen Rechten und Pflichten wie die EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Stimmrechts beteiligen dürfen. Verfügt die EU-Agentur über die Kompetenz, bindende Entscheidungen zu treffen, muss zweitens geregelt werden, wem diese Kompetenz hinsichtlich der EWR/EFTA-Staaten zukommt. Bislang wurden hierfür sowohl Zwei-Pfeiler-Lösungen gefunden, d.h. Lösungen, welche die Zwei-Pfeiler-Struktur des EWR-Abkommens wahren, als auch Ein-Pfeiler-Lösungen, nach welchen die EU-Agentur die Entscheidungskompetenz auch für die EWR/EFTA-Staaten übernimmt. Diese politischen Einzelfallentscheidungen sind auf das Spannungsverhältnis zwischen Homogenität und Zwei-Pfeiler-Struktur zurückzuführen.