Die Geschichte der liechtensteinischen Aussenpolitik seit 1950

22 Dec 2020 - Neue Publikation
Als Kleinstaat ist Liechtenstein auf vielfältige Aussenbeziehungen angewiesen, um sein Potenzial entfalten zu können. Eine aktive Aussenpolitik im Sinne einer Einbindung in internationale Organisationen und Abkommen verfolgt Liechtenstein aber erst seit 1950. In einem Arbeitspapier des Liechtenstein-Instituts zeichnet der Historiker Christoph Maria Merki die Entwicklung der liechtensteinischen Aussenpolitik nach.

Liechtensteins Aussenpolitik beschränkte sich während Jahrzehnten darauf, das bilaterale Verhältnis zum Nachbarn Schweiz zu gestalten. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts strebt Liechtenstein aber vermehrt nach multilateraler Einbindung. Sowohl beim Beitritt zum Statut des Internationalen Gerichtshofs (1950) als auch beim Beitritt zum Europarat (1978) musste starker Widerstand überwunden werden, der die Souveränität Liechtensteins anzweifelte. Auch die Mitarbeit bei der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE bzw. OSZE) diente dazu, die Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit des Staates unter Beweis zu stellen. Obwohl Liechtenstein 1990 beim Beitritt zu den Vereinten Nationen (UNO) das bis dahin kleinste Mitgliedsland war, wurde seine Souveränität nicht mehr infrage gestellt. Für die Aussenwirtschaftspolitik Liechtensteins war wegen des Zollanschlussvertrags (1924) anfänglich ausschliesslich die Schweiz zuständig, sodass Liechtenstein weder bei der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) (seit 1960) noch beim bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) (seit 1972) Mitbestimmungsmöglichkeiten zugesprochen erhielt. Erst die Vertiefung der EWG, die sich zur Europäischen Union (EU) weiterentwickelte und die fortan Politikbereiche regelte, die weit über den Zollanschlussvertrag hinausgingen, verschaffte Liechtenstein die Möglichkeit, sich von der Schweiz zu emanzipieren und einen eigenständigen Weg einzuschlagen. Während die Schweiz aussen vor blieb, entschied sich Liechtenstein 1995 für den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR).

Die liechtensteinische Aussenpolitik des 20. Jahrhunderts wurde weitgehend durch die Exekutive (Fürst, Regierung, Verwaltung) bestimmt. Das Parlament spielte dabei eine untergeordnete Rolle, ebenso wie das Volk, dem erst seit 1992, seit der Einführung des Staatsvertragsreferendums, eine gewisse Bedeutung als Referendumsmacht zukommt. Solange es kein Amt für Auswärtige Angelegenheiten gab, war die 1944 eingerichtete Gesandtschaft in Bern der Dreh- und Angelpunkt der liechtensteinischen Aussenpolitik. Die entscheidenden Weichenstellungen der liechtensteinischen Aussenpolitik waren klug gewählt, und sie erfolgten alle rechtzeitig, das heisst in zeitiger Reaktion auf die veränderten Gegebenheiten: 1924 mit der Anlehnung an die Schweiz, 1950 mit dem schrittweisen Ausbau der multilateralen Beziehungen und 1995 mit der verstärkten Ausrichtung auf die EU. All diese Erfolge wurden – gemessen an ihrer Bedeutung für die Sicherheit und Wohlfahrt Liechtensteins – mit bemerkenswert wenig Personal bewerkstelligt und gesichert.

 

Bildlegende: 
Hissen der liechtensteinischen Fahne beim Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York, 18. September 1990. LI LA B_253_3_010_006; Foto Landesarchiv / Eddy Risch, Schaan