Abstract
Die Organisation und die Aufgaben der Gemeinden in Liechtenstein waren am Ende des 18. Jahrhunderts eng verwandt mit denen in den Gemeinden von Graubünden, St. Gallen und Vorarlberg. Entsprechend erhielt der liechtensteinische Gesetzgeber vom frühen 19. bis ins späte 20. Jahrhundert mannigfaltige Anregungen aus der Schweiz und Österreich. Dennoch stellten sowohl das Gemeindegesetz von 1842 als auch das von 1864 eine eigenständige Schöpfung dar.
Wichtige Regelungsgegenstände waren 1842, 1864 und bei den späteren Revisionen des Gemeindegesetzes der Zugang zum Gemeindenutzen (d.h. der Umgang mit denjenigen Flächen und Gütern, die nicht im Privateigentum einzelner Einwohner standen, sondern gemeinschaftlich genutzt wurden) und der Umgang mit Ausländern und Liechtensteinern aus anderen Gemeinden (sog. Hintersassen). Diese unterschiedlichen Kategorien von Einwohnern hatten nicht dieselben Nutzungsrechte am Gemeindenutzen und kamen nicht alle in den Genuss der politischen Rechte.
Das Gemeindegesetz von 1864 erwähnte erstmals den eigenen und übertragenen Wirkungskreis. Der Begriff stammte aus dem provisorischen österreichischen Gemeindegesetz von 1849 und dem österreichischen Reichsgemeindegesetz von 1862. Er wurde in der Folge in Liechtenstein jedoch ohne Rückgriff auf das jeweils aktuelle österreichische Recht weiterentwickelt. 1921 fand er Aufnahme in die Verfassung (Art. 110 Abs. 1 LV). Den liechtensteinischen Gemeinden kam jedoch schon gestützt auf die Verfassung von 1862 und das Gemeindegesetz von 1864 eine relativ weitgehende Autonomie zu. Inspiriert von der Verfassungs-Urkunde für das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen von 1833 garantierte nämlich bereits die Verfassung von 1862 (§ 22 KonV) insbesondere die freie Wahl der Ortsvorsteher, die selbstständige Verwaltung des Vermögens und der Ortspolizei und das Recht der Gemeinden, über die Bürgerrechtserteilung zu beschliessen.
Schlüsselwörter: Gemeinden, Geschichte, Gemeindenutzen, Allmende, Hintersassen, Gemeindeautonomie, Liechtenstein, Vorarlberg, St. Gallen, Graubünden, Rechtsgeschichte, Rechtsrezeption
At the end of the 18th century the organisation and the responsibilities of local authorities [municipalities] in Liechtenstein were closely connected to those in the municipalities in Graubünden, St. Gallen and Vorarlberg. As a consequence, from the early 19th to the late 20th century the Liechtenstein legislature received many stimuli of different kinds from Switzerland and Austria. Nonetheless, the municipal law of 1842 and likewise that of 1864 can be seen as original creations.
In both 1842 and 1864, and also in the later revisions of the municipal law, new rulings affected such important areas as access to communal holdings (i.e. the use of those lands and goods that were not privately owned by individuals but which belonged to and were available for use by the community) and dealings with foreigners and with Liechtenstein citizens from other municipalities (so-called ‘Hintersassen’). The various categories of inhabitants did not all share the same usage rights in respect of communal holdings and not all of them enjoyed political rights.
Keywords: municipality, communal holdings, commons, local autonomy, Liechtenstein, Vorarlberg, St. Gallen, Graubünden, history of law, legal transplant