Derselbe Text erschien in der Online-Zeitschrift «Jusletter» vom 4. Mai 2020, veröffentlicht von Weblaw AG, Bern.
Jusletter
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Abstract
Liechtenstein ist durch den Zollanschlussvertrag von 1923 (ZV) eng an die Schweiz gebunden. Gestützt auf ihn gelangen in Liechtenstein neben der Zollgesetzgebung viele weitere Schweizer Erlasse wie das Epidemiengesetz (EpG) und Erlasse zur wirtschaftlichen Landesversorgung zur Anwendung. Bei ihrer Anwendung kommt Liechtenstein gemäss Art. 6 ZV dieselbe Rechtsstellung wie den Kantonen zu. Wegen Liechtensteins Souveränität fragt es sich nun aber, was dies für die vom schweizerischen Bundesrat auf Art. 6 und 7 EpG gestützten Massnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus bedeutet. Wie gezeigt wird, entfaltet die in Art. 6 EpG für die besondere Lage und die in Art. 7 EpG für die ausserordentliche Lage vorgesehene Kompetenzverschiebung von den Kantonen zum Bund keine Wirkung gegenüber Liechtenstein.
Trotzdem muss Liechtenstein alle Schweizer Massnahmen gegen das Coronavirus im Bereich der Zollvertragsmaterien befolgen, also vor allem die Vorgaben zum Personen- und Warenverkehr und zur Versorgung mit wichtigen medizinischen Gütern. Einen grösseren Spielraum hat Liechtenstein bei den übrigen Massnahmen, vor allem bei denen gegenüber der Bevölkerung (wie Umstellung auf Fernunterricht, Durchsetzung von Versammlungsverboten).
Wie ein Vergleich (mit Stand der Rechtsetzung vom 18. April 2020) der liechtensteinischen COVID-19-Verordnung vom 13. März 2020 mit der COVID-19-Verordnung 2 der Schweiz vom 13. März 2020 zeigt, weichen Liechtensteins Regeln vor allem im Bereich der Bildungs- und Kinderbetreuungseinrichtungen von den Schweizer Regeln ab. Überdies werden ab dem 27. April 2020 in Liechtenstein mehr Einkaufsläden und Märkte für das Publikum geöffnet als in der Schweiz. Solange dabei ein gleichwertiger Schutz der Gesundheit gewährleistet ist, ist dies zulässig.
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die COVID-19-Verordnung vom 13. März 2020 und ihre Änderungen in Liechtenstein vor dem Staatsgerichtshof angefochten werden können, während die bundesrätliche Verordnung und ihre Revisionen in der Schweiz nicht anfechtbar sind. Diese Untersuchung zeigt auf, dass es an einer Norm fehlt, die das gleichzeitige Inkrafttreten von dringlich erlassenen Bestimmungen vorsieht, die in der Schweiz und in Liechtenstein wegen der Verpflichtungen aus dem Zollanschlussvertrag gleichzeitig in Kraft treten sollen.
Schlagwörter: aufgrund des Zollvertrages in Liechtenstein anwendbare schweizerische Rechtsvorschriften; Coronavirus; COVID-19; dringliches Recht; Epidemiengesetz; Grundrechtseinschränkung; Kundmachung; Pandemie; Sondersitzung des Landtages; Souveränität; Zollanschlussvertrag; Zollvertragsmaterie
Le Liechtenstein est étroitement lié à la Suisse par le traité d'union douanière de 1923 sur la base duquel la loi suisse sur les épidémies s'applique au Liechtenstein. Vu la souveraineté du Liechtenstein sur son territoire, on peut se demander ce que cela signifie pour les mesures prises par le Conseil fédéral, au sens des arts. 6 et 7 de la loi sur les épidémies. Comme il sera démontré, le transfert de compétences des cantons à la Confédération ne s’applique pas au Liechtenstein. Néanmoins, le Liechtenstein doit respecter toutes les mesures suisses contre le coronavirus qui sont couvertes par les matières du traité douanier, c'est-à-dire, surtout, les dispositions relatives à la circulation des personnes et des biens ainsi qu’à la la fourniture de biens médicaux essentiels. (Übersetzung: Weblaw AG, Bern)