Abstract
Das vorliegende Arbeitspapier spürt dem Notstandsbegriff im Staats-, Straf- und Völkerrecht ausgewählter Staaten, vor allem des Fürstentums Liechtenstein, nach. Im Vordergrund steht die Frage, wann im öffentlichen Recht bestimmter Staaten eine Notstandslage vorliegt, an die spezifische Rechtsfolgen wie die Suspendierung von (einzelnen) Grundrechten anknüpfen können. Damit im Zusammenhang steht die Frage nach der Zulässigkeit von überpositivem (extrakonstitutionellem) Notrecht in Liechtenstein im Lichte des verfassungsrechtlichen Legalitätsprinzips und der Theorie von der Geschlossenheit der Verfassungsrechtsquellen. Hier ist nicht zuletzt auf die Rechtsanschauungen von Carl Schmitt und Hans Kelsen einzugehen. In der jüngeren Literatur wurde die Auffassung vertreten, dass Liechtenstein sich in den Krisen der 1930er- und 1940er-Jahre auf extrakonstitutionelles Notrecht berufen habe. Ob diese Aussage zutrifft, soll in diesem Arbeitspapier geklärt werden.
Ferner sollen die strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen den innerstaatlichen Staatsnotständen, den Notständen innerstaatlicher Strafrechte und dem völker(gewohnheits)rechtlichen Staatsnotstand anhand von Beispielen aus der Geschichte und Gegenwart dargestellt werden. Zu behandeln ist in diesem Kontext auch Art. 347 AEUV sowie Art. 112 EWRA, die heute gewisse Aspekte des Staatsnotstandes im Unions- bzw. im EWR-Recht regeln. Liechtenstein traf unter Berufung auf Art. 112 EWRA 1998 Schutzmassnahmen im Bereich der Personenfreizügigkeit.
Ein weiterer, verwandter Fragenkomplex widmet sich der Notwehr- und Notstandsfähigkeit staatlicher Rechtsgüter in einigen deutschsprachigen Staaten. Dieser Abschnitt beinhaltet auch einen Abstecher zum DDR-StGB von 1968.
Gestreift werden schliesslich die Notstandsregelung in § 1306a ABGB und der Notstand im Strafrecht der lateinischen Rituskirche.
Schlagwörter: Ermächtigungsgesetz, extrakonstitutionelles Notrecht, Gewohnheitsrecht, Legalitätsprinzip, Notrecht, Notstand, Rechtsgüterschutz, Staatsnotstand, Staatsnotwehr, Strafrecht, überpositives Notrecht, Unionsrecht, Verfassungsrecht, Verfassungsrechtsquellen, Völkerrecht