Abstract
Entgegen einer geläufigen Annahme kam es auch in Liechtenstein nicht erst mit dem «Wirtschaftswunder» der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur sozialen Ausdifferenzierung einer bis dahin vermeintlich homogenen, bäuerlichen Bevölkerung. Dieser Prozess hatte schon lange zuvor eingesetzt. Wie in Abschnitt I gezeigt wird, wurde die liechtensteinische Gesellschaftsstruktur im zeitgenössischen Diskurs schon bei Kriegsende 1945 als heterogen wahrgenommen. Die verbreitete Vorstellung einer Gliederung der Bevölkerung in die «Berufsstände» der Landwirte, der Gewerbetreibenden und der Arbeiter lehnte sich an die im späten 19. Jahrhundert entstandene, durch die päpstliche Sozialenzyklika «Quadragesimo anno» (1931) verbreitete und in den 1930er Jahren in Europa (auch in Liechtenstein) politisch wirksame antiliberale Ständestaatsidee an. In Abschnitt II wird die Entwicklung der sozialen – namentlich der sozioprofessionellen – Schichtung anhand der Volkszählungsdaten von 1941, 1950 und 1960 untersucht und ein einfaches Schichtungsmodell vorgestellt. Schliesslich erlauben die in Abschnitt III ausgewerteten Steuer- und Wohnstatistiken von 1950 eine Annäherung an die soziale Lage der in Abschnitt II festgestellten Schichten. Die ermittelten Einkommens- und Vermögensdivergenzen verdeutlichen ein beträchtliches Ausmass an sozialer Ungleichheit, die sich auch in den Wohnverhältnissen spiegelt.
Über dieses Buch
«Und nach dem Nachdenken kommt das Handeln» – der Titel der Festschrift für Guido Meier zum 75. Geburtstag beschreibt das Motto für das langjährige Wirken des Jubilars auf ganz verschiedenen Tätigkeitsfeldern. Nachdenken und Handeln, Theorie und Praxis nebeneinander Seite an Seite zu stellen, und dies aufgefächert anhand der Gebiete, auf denen der Jubilar sich vornehmlich betätigt hat, ist auch das Ziel der vorliegenden Festschrift. Sie umfasst 17 thematische Beiträge, die sich auf vier Bereiche verteilen: Geschichte; Umwelt- und Raumpolitik; Politik, Recht und Wirtschaft; Finanzdienstleistungen. Die Beiträge widerspiegeln in ihrer Gesamtheit einen Facettenreichtum des Nachdenkens über Liechtenstein ebenso wie des Handelns über Liechtenstein hinaus. In letzterem Sinne bereichern als illustrative Besonderheit zudem zwei farbenprächtige Fotostrecken zur Landschaft Grönlands, zu welcher der Jubilar ein ganz besonderes Verhältnis pflegt, den vorliegenden Band.