Abstract
Ein Kleinststaat wie Liechtenstein, lange ohne Universität oder ausgebaute Verwaltung, ist gezwungen, sein Recht vornehmlich durch Rezeption – also die Übernahme aus dem Ausland – zu gestalten. Das liechtensteinische Recht zeichnet sich dadurch aus, dass es, insbesondere das Privatrecht, aus verschiedenen Rechtsordnungen rezipiert wurde und auch eigenständige Gesetzesschöpfungen aufweist.
Natürlich brachte vor allem der Beitritt Liechtensteins zum EWR erhebliche Umsetzungsverpflichtungen mit sich. Gerade mit Blick auf diese Umsetzungsverpflichtungen stellten sich vermehrt auch Auslegungs- bzw. Lückenfüllungsfragen, wenn der Staat ggf. mit der Umsetzung in Verzug und ein Anspruch, der seine Grundlage in einer Richtlinie hat, angesprochen ist.
Im Zentrum des Beitrags steht hinsichtlich der Lückenfüllung im Zusammenhang mit nicht- bzw. nicht korrekt umgesetztem Richtlinienrecht die Forderung nach einer widerspruchsfreien Rechtsordnung. Diese findet ihre Grundlage im Gleichheitssatz und im Rechtsstaatsprinzip, und zwar sowohl horizontal, d.h. innerhalb des nationalen Rechts, als auch vertikal, zwischen nationaler und internationaler Ebene.
Es zeigt sich, wie gut es die liechtensteinische Rechtsordnung erlaubt, Rechtsanwendungsdefizite, wie sie dem EWR-Recht gegenüber dem EU-Recht eigen sind, auszugleichen. Dafür sind die Rechtsanwendungsregeln des nationalen Rechts anzuwenden. Georges Baur verweist in diesem Zusammenhang auf die weitgehend vergessene Bestimmung von Art 1 Sachenrecht (SR) i.V.m. Art. 101 Schlusstitel zum Sachenrecht (SchlTSR) welche den Anspruch auf eine widerspruchsfreie Rechtsordnung zu erfüllen vermag.